Sozialdemokratie: Godesberger Programm

Sozialdemokratie: Godesberger Programm
Sozialdemokratie: Godesberger Programm
 
Seit dem Tod Kurt Schumachers vollzog sich in der SPD ein tief greifender Wandel, der bei den Vorstandswahlen auf dem Stuttgarter Parteitag 1958 seinen deutlichsten Ausdruck fand. Von dem 33 köpfigen Vorstand wurden elf Mitglieder neu gewählt, darunter unter anderen Willy Brandt, Helmut Schmidt und Gustav Heinemann. Gleichzeitig wurde die innerparteiliche Diskussion um ein neues Programm verstärkt. Bislang war das Heidelberger Programm von 1925 gültig geblieben, das lediglich durch kurzfristige Wahl- und Aktionsprogramme ergänzt wurde. Ende Januar 1959 beschloss das SPD-Präsidium, die seit 1957 laufenden Diskussionen zu kanalisieren und im November 1959 in Bad Godesberg einen außerordentlichen Programm-Parteitag abzuhalten, auf dem das neue Parteiprogramm beraten und verabschiedet werden sollte. Maßgeblich war daran Herbert Wehner beteiligt, der schließlich auch die grundsätzliche Zustimmung der SPD zur NATO- und Europapolitik Adenauers durchsetzte.
 
Die marxistischen Grundpositionen wurden im Godesberger Programm aufgegeben, an ihre Stelle traten Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität als neue Ziele, die die Partei anstrebte. Statt der Beseitigung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse durch Sozialisierung und Planwirtschaft wurde die Mitbestimmung zur Kontrolle wirtschaftlicher Macht gefordert.
 
Entscheidend für die positive Aufnahme des Programms in der deutschen Öffentlichkeit wurde der Verzicht auf die Sozialisierung. Mit dem neuen Programm überwand die SPD den traditionellen Widerspruch von revolutionär-marxistischer Programmatik und ihrer eher sozialreformerischen Praxis. Hinzu kamen der Abbau der Frontstellung zu den Kirchen und ein klares Bekenntnis zur Landesverteidigung. Damit wurde die SPD, in der inzwischen viele Akademiker und Intellektuelle Mitglieder geworden waren und die ihre Struktur als Arbeiterpartei zu verlieren begann, auch für weite bürgerliche Schichten wählbar.
 
»Die Sozialdemokratische Partei ist von einer Partei der Arbeiter zu einer Partei des Volkes geworden. Sie will die Kräfte, die durch die industrielle Revolution und durch die Technisierung aller Lebensbereiche entbunden wurden, in den Dienst von Freiheit und Gerechtigkeit für alle stellen. ..« Das neue Parteiprogramm, das auf dem Godesberger Parteitag (13.-15. November 1959) nahezu einstimmig angenommen wurde, und die damit verbundene Wandlung der Partei erschlossen der SPD neue Wählerschichten und machten sie koalitionsfähig. Auf seiner Grundlage entwickelte die SPD ihre Programmatik im Berliner Grundsatzprogramm von 1990 fort.

Universal-Lexikon. 2012.

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